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Der virtuelle Konzertbesuch auf dem Prüfstand

Video Streaming

Das Jahr 2020 und Corona haben uns Festivalgängern und Konzertliebhabern einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Aufgrund der Pandemie sind so gut wie alle Veranstaltungen abgesagt – doch alternativ wurden Konzerte oder sogar Festivals über Streaming-Formate aufgezogen. Wir haben uns einige Angebote angeschaut und finden heraus, ob es sich um eine willkommene Alternative oder doch nur um einen Wermutstropfen handelt. Außerdem erfahren wir von einigen Veranstaltern, wie sie sich die Festival-Zukunft vorstellen.

Das Internet ermöglicht uns alternative Musikkonsumgelegenheiten

Harte Zeiten fordern harte Maßnahmen. Was den ein oder anderen Politiker an seine Grenzen bringt, löst bei den Festival-Veranstaltern, aber auch bei den Bands, eine wahre Kreativitätswelle aus. Neben den unzähligen Wohnzimmerkonzerten und Live-Videos aus Proberäumen, die in den letzten Wochen gestreamt wurden, sind es vor allem die großen Festivals, die das Feeling vom Acker ins Internet bringen wollen. Eine gewisse Affinität fürs Digitale bewiesen einige Festivals schon lange vor der Krise. So sind die zwei größten Konzert-Streaming-Portale arte Concert und MagentaMusik 360 bereits seit vielen Jahren Partner von Wacken, Rock am Ring und co. Bisher wurden sie aber nur als Zusatz genutzt und deshalb auch recht einfach umgesetzt. Corona sollte das aber ändern.

Bier und Fernseher

Zu seiner sogenannten “Digitalen Taverne” hat der YouTuber Der Dunkle Parabelritter die Marketing- und Social-Media-Beauftragten der wichtigsten deutschen Metal Festivals eingeladen, um über die aktuelle Situation aus Sicht der Veranstalter zu plaudern. Im Gespräch mit Jasper Ahrendt (Wacken), Roman Hilser (Summer Breeze) und Tobias Zwiebel (Full Force) wird zunächst klar, dass sich die anfängliche Ungewissheit als größte Herausforderung darstellte. Denn erst mit dem definitiven Veranstaltungsverbot, konnten sich die jeweiligen Crews an die Umsetzung der Alternativen machen.

Das “Full Force At Home” startete mit einem Festivalfreitag auf Radio BOB und streamte an den beiden darauffolgenden Tagen die Festival Highlights der vergangenen zwei Jahre via arte Concert. Wacken stellte kurzerhand das Wacken World Wide auf die Beine und das Summer Breeze tat sich sogar mit 12 weiteren europäischen Festivals zusammen. Letztere haben wir uns genauer angeschaut.

Wacken World Wide

Ein einzigartiges Event in Zusammenarbeit mit MagentaMusik 360 durften wir unter dem Namen Wacken World Wide kennenlernen. Vom 29. Juli bis zum 1. August konnte man dort Konzerte von vielversprechenden Bands verfolgen, unter anderem Heaven Shall Burn, Eskimo Callboy oder In Extremo. Die Konzerte sind entweder aus vergangenen Wacken-Jahren oder extra für das Wacken World Wide gespielt worden. Das Ganze mitzuverfolgen war auch für Menschen mit schmaler Brieftasche möglich, denn statt das übliche Ticket bezahlen zu müssen, wurde alles kostenfrei angeboten. Neben spektakulären Bandshows waren exklusive Interviews und Gespräche, sowie Einblicke hinter die Kulissen geboten. Um den Künstlern und Bands finanziell dennoch etwas Gutes zu tun, konnte man zusätzlich Souvenir-Tickets, Festival-Bändchen und Shirts erwerben – fast wie beim richtigen Festival.

Selbst angepriesen als größte Mixed-Reality-Show aller Zeiten mit vollwertigen Live-Auftritten, war die Erwartung dem Event gegenüber natürlich sehr hoch. Da die Bands zu unterschiedlichen Locations gerufen wurden, oder die Produktion gleich ganz übernahmen, gibt es jedoch stellenweise kleinere Patzer in Sachen Video- oder auch Tonqualität, die in Anbetracht der Schnelligkeit, in der das Format aus dem Boden gestampft wurde, aber gerne verziehen werden. Mit 11 Millionen Zuschauern hat sich das größte Festival Deutschlands zurecht auch in seiner digitalen Variante bewiesen.

European Metal Festival Alliance

European Metal Festival Alliance

13 Metal Festivals aus Europa haben sich zur European Metal Festival Alliance zusammengeschlossen – aus Deutschland waren das Summer Breeze und das Party.San mit an Bord. Das Ticket, also der Zugang zum Streaming-Portal, war mit 6,66€ zwar nicht kostenlos, aber trotzdem erschwinglich. Außerdem konnten wir beim Kauf auswählen, welches der teilnehmenden Festivals wir damit unterstützen möchten. Das Streaming-Angebot umfasste wie beim Wacken World Wide großteils exklusive Performances der Bands, die vorab aufgenommen wurden – teilweise auch unveröffentlichte Aufnahmen von vergangenen Festivalauftritten. Darüber hinaus gab es Band-Interviews und die Möglichkeit, mit den Musikern direkt zu chatten. Nicht zuletzt der gute Sound sorgte beinahe für richtiges Live-Feeling.

“Es geht um Vorfreude, nicht um Ersatz”

Konnten die digitalen Festivals also überzeugen? In Anbetracht der Eile, in der diese Formate aufgezogen wurden, sind die verschiedenen Alternativen mehr als gelungen! So gelungen, dass man sich glatt fragt, ob die Festivalzukunft früher oder später vielleicht sogar ganz ins Netz verlegt wird. Die Veranstalter sind sich jedoch einig, dass es sich bei den Alternativen um Übergangslösungen und nicht um Ersatz handelt. Man könne sich aber vorstellen, die Sonderformate auch nach Corona beizubehalten – quasi als Zusatz zur Marke, um die Community auch über das Jahr am Leben zu halten. Diese Ergänzung käme vor allem Menschen mit körperlichen Behinderungen, sozialer Phobie oder auch solchen, die wenig Geld haben oder einfach zu weit weg wohnen entgegen.

Man überlegt auch, in welcher Weise man die Online-Festivals erweitern, beziehungsweise den Fan noch mehr ins Geschehen integrieren könnte. So könnte man sich vorstellen, die Zuschauer an der Setlist mitschreiben zu lassen oder ihnen die Wahl der aktiven Kamera frei zu überlassen. Trotz aller Innovation wird der digitale Festivalsommer von allen Veranstaltern durchweg, wenn auch im Spaß, als Beschäftigungstherapie bezeichnet. Der Fokus liegt also nach wie vor auf den echten Ackern, was mit Sicherheit im Sinne der meisten Festival-Fans ist. Wie diese in rund einem Jahr aussehen werden, bleibt aber vorerst ungewiss. Mit Sicherheit lässt sich dagegen jetzt schon sagen, dass das grenzenlose Engagement der Festival-Crews fast noch mehr bewegt, als die Masse im Pit.